„Künstliche Intelligenz wird uns als Klinik besser machen“
Der Übergang von der analogen in die digitale Welt führt in der Medizin, in Forschung und Lehre, zu tiefgreifenden Veränderungen. Die digitale Transformation bietet für Universitätskliniken wie das UKE viele Chancen und großes Potenzial – davon ist Prof. Dr. Christian Gerloff, Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender des UKE, zutiefst überzeugt.
„Das UKE treibt moderne universitäre Medizin voran, wächst und ist in einer Phase, in der baulich wie digital neue Ufer zu erreichen sind. Die Campusentwicklung und die Gestaltung der Medizin der Zukunft gehen Hand in Hand. Dabei müssen wir die Chancen der Digitalisierung optimal nutzen. Sie erlaubt uns eine noch bessere Vernetzung und zum Beispiel die Entwicklung intelligenter Assistenzsysteme, die in Zukunft Medizin noch sicherer und effektiver machen.
Im UKE werden Wissen und Technik sehr schnell praktisch umgesetzt. Seit 2009 haben wir eine elektronische Patientenakte, die damals europaweit einzigartig war und noch heute beispielgebend ist. Im UKE übernimmt seit vielen Jahren ein fahrerloses Transportsystem unterirdisch die Warenversorgung im Klinikum, arbeiten wir regelhaft mit roboter-assistierten OP-Systemen und unterstützen international Kolleg:innen per Telemedizin bei komplexen Eingriffen.
Zwei weitere Beispiele für die digitale Entwicklung im UKE: Unter Leitung unserer Apotheke steht ein Projekt zum 3D-Druck von Medikamenten. Bei Patient:innen variieren jeden Tag Gewicht, Nieren- oder Leberwerte, sie benötigen eigentlich täglich eine angepasste Dosis. Viele Medikamente gibt es nur in Tablettenform. Tabletten mit individuellem Wirkstoffgehalt können jetzt mit dem 3D-Drucker hergestellt werden; wir prüfen das Verfahren gerade in einer klinischen Studie mit Parkinsonpatient:innen. In der Neurologie haben wir mithilfe Künstlicher Intelligenz ein Prognoseprogramm entwickelt, dass künftig bei Intensivpatient:innen bis zu 24 Stunden im Voraus vorhersagen kann, ob schwerwiegende Komplikationen für das Gehirn drohen.
Gerade befinden wir uns mitten in einem weiteren digitalen Transformationsprozess und führen ein neues, hochmodernes klinisches Arbeitsplatzsystem mit der Bezeichnung NAVIS ein. Dies wird uns eine noch bessere Vernetzung mit Patient:innen sowie niedergelassenen Ärzt:innen und Therapeut:innen oder auch den zuständigen Krankenkassen ermöglichen. Dazu zählen auch auf Künstlicher Intelligenz basierende Assistenzsysteme, die die Fehlerwahrscheinlichkeit in der Patient:innenversorgung noch weiter reduzieren, indem sie auf Zusammenhänge in Krankheitsverläufen oder ähnliches hinweisen.
Digitalisierung ist zu einem essenziellen Instrument der Medizin geworden, sie ist ein Bindeglied und auch eine Quelle von Informationen. So sind bei vielen Erkrankungen keine klinischen Studien mit zehntausenden Patient:innen mehr erforderlich. Bei der Spinalen Muskelatrophie etwa wissen wir dank digital unterstützter molekularbiologischer Analyse genau, welches Gen geschädigt ist und welche Konsequenzen dies hat. Hieraus ist eine Gentherapie entstanden. Es reichen dann relativ kleine Fallzahlen für eine klinische Studie, um die Anwendbarkeit und Verträglichkeit dieser Therapie in der Praxis zu beweisen. Das ist moderne Präzisionsmedizin, von der Patient:innen sehr stark profitieren.
Die Vorteile einer stärkeren Digitalisierung im Gesundheitswesen sind vielfältig: Sicherheit von Prozessen, Unterstützung von weniger erfahrenem Personal, Geschwindigkeit, Zugang zu Informationen, neue Dimensionen der Analyse, bessere und schnellere Evaluationen von Routineleistungen. Richtig eingesetzt kann die Digitalisierung Gesundheitsberufe attraktiver machen, weil die Handelnden von Tätigkeiten entlastet werden, die automatisiert werden können, und sich dann noch mehr auf die Versorgung der Patient:innen konzentrieren können.
Dabei wird digitale Intelligenz menschliche Intelligenz nicht ersetzen. Es geht darum, Medizin besser und sicherer zu machen, ärztliche und pflegerische Einschätzungen zu unterstützen. Fragt man die Menschen, ob sie ihre Diagnose vom Computer oder Roboter erhalten möchten oder von einem Arzt, antworten mehr als 90 Prozent: Natürlich von einem Arzt. Wir müssen technische Neu- und Weiterentwicklungen immer aus der Perspektive der Patient:innen betrachten. Ich mache mir keine Sorgen, dass wir in die Situation kommen, dass Künstliche Intelligenz in der Medizin allein entscheidet. Dies wird nicht geschehen. Künstliche Intelligenz wird uns aber als Leistungserbringer, als Klinik, die tagtäglich mehrere Tausend kranke Menschen versorgt, noch einmal deutlich besser machen.“