Eisgekühlte Proteine
Schockgefroren erscheinen Proteinstrukturen kristallklar – und ermöglichen einen tiefen Einblick in biologische Prozesse bei Infektionskrankheiten. Wissenschaftler:innen vom Zentrum für Struktur- und Systembiologie (CSSB) in der wachsenden Science City Hamburg Bahrenfeld erforschen in enger Kooperation mit dem UKE, wie sich Zellen effektiver gegen Angriffe durch Viren, Bakterien und Parasiten rüsten können.
Text: Nicole Sénégas-Wulf, Fotos: Axel Kirchhof
2017 eröffnete auf dem DESY-Campus das interdisziplinäre Infektionsforschungszentrum Centre for Structural Systems Biology (CSSB). Welche Fragestellungen wollen Sie beantworten?
Prof. Dr. Thomas Marlovits: Das CSSB ist eine Kooperation aus neun Forschungszentren, das Wissenschaftler:innen verschiedener Disziplinen unter einem Dach und mit einem Ziel zusammenbringt: die Mechanismen von Infektionsprozessen durch Krankheitserreger zu entschlüsseln, um neue Behandlungsansätze zu entwickeln. Diese einzigartige Zusammenarbeit aus Biologie, Physik, Chemie und Medizin macht es möglich, sich Fragen der Infektions- und Strukturbiologie aus unterschiedlichen Richtungen zu nähern und so die Funktionsweisen von Viren, Bakterien und Parasiten als großes Ganzes zu verstehen.
Prof. Dr. Meytal Landau: Wir arbeiten mit verschiedenen Werkzeugen, die wir kombinieren, an unterschiedlichen Infektionskrankheiten. Mit der Kryo-Elektronenmikroskopie (Kryo-EM) können wir Moleküle und Zellen beispielsweise bis ins subatomare Detail analysieren und beobachten, wie sie zu Infektionen beitragen oder sich mikrobielle Zellen zerstören lassen. Andere nutzen Massenspektrometer, um Interaktionen zwischen Zellen oder Proteinen zu untersuchen. Das CSSB bietet sowohl die Techniken als auch das Know-how, diese verschiedenen Informationen zu bündeln. So entsteht eine Art Puzzle biologischer Prozesse, das wir gemeinsam zu lösen versuchen.
Prof. Dr. Maya Topf: In meiner Gruppe entwickeln wir computergestützte Werkzeuge für die Verarbeitung von Kryo-EM-Bildern und die Strukturmodellierung. Diese Tools stellen wir nicht nur zur Verfügung, sondern vermitteln auch anderen Forschungsteams am CSSB, wie sie diese nutzen können. Vieles davon geschieht informell. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit innerhalb der Teams ist sehr dynamisch. Wir unterstützen und ergänzen einander, je nach individueller Expertise.
Wo liegen gemeinsame Interessen zwischen CSSB und UKE?
Topf: Unsere Forschungen über Infektionskrankheiten haben natürlich eine Relevanz für die Medizin und damit für das UKE. Besonders in der Impfstoffentwicklung hat die strukturelle Biologie in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen. In der integrativen Virologie arbeiten wir daran, die spezifischen Interaktionen zwischen Virus und Wirt zu verstehen und zu modellieren. Ziel ist es, diese Wechselwirkungen mithilfe von Peptiden oder kleinen Molekülen zu unterbrechen, um das Virus zu neutralisieren.
Marlovits: Ein weiteres, gemeinsames Thema ist die Zunahme multiresistenter Keime, die auf bestimmte Wirkstoffkombinationen nicht mehr ansprechen, was die Krankenversorgung erschwert. Wir untersuchen in unseren Laboren Probenmaterial von im Krankenhaus behandelten Patient:innen. Indem wir verstehen, was genau in den Zellen geschieht, können wir neue Strategien zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten entwickeln. So bringen wir Forschung näher ans Krankenbett.
Gibt es weitere Kooperationen mit dem UKE?
Landau: Oh ja, zum Beispiel in der Alzheimer-Forschung mit Gehirnproben aus der Klinik für Neurologie. Ich arbeite auf dem Gebiet der Amyloide. Das sind Strukturen, bei denen Proteine zu stabilen Fasern verkleben. Bei Alzheimer bilden sie sogenannte Plaques, die sich in den Hirnzellen der Erkrankten wiederfinden. Die Fachwelt geht davon aus, dass Mikroben an der Entstehung dieser Krankheit beteiligt sein könnten. Auch mit dem Institut für Medizinische Mikrobiologie, Virologie und Hygiene besteht eine Zusammenarbeit zum Thema Antibiotikaresistenz bei Staphylokokkus-Bakterien. Im CSSB nähern wir uns den Problemen von struktureller Seite, während sich das UKE auf die genetische und klinische Arbeit konzentriert. So können wir uns perfekt ergänzen.
Topf: Ein weiteres Beispiel von vielen ist die Zusammenarbeit mit dem Institut für Immunologie, mit dem wir am humanen Zytomegalievirus forschen, das zur Familie der Herpesviren gehört. Unser Ziel ist es zu verstehen, mit welchen Tricks und Ausweichstrategien das Virus versucht, das Immunsystem zu überlisten. Indem wir die Interaktionen analysieren, möchten wir herausfinden, wie das Immunsystem effektiver gegen solche Viren gerüstet werden kann. Dieses Wissen ist entscheidend, um wirksame Medikamente und Impfstoffe zu entwickeln.
Marlovits: Kürzlich machten wir in Zusammenarbeit mit der UKE-Arbeitsgruppe Cytoskeletal Dynamics der Abteilung Biochemie und Signaltransduktion eine spannende Nebenentdeckung. Wir untersuchten die Zusammenhänge zwischen dem Zytoskelett, das für die Stabilität und Bewegungsfähigkeit der Zelle zuständig ist, und der Ausbreitung von Krebs. Dabei fanden wir außerdem eine einzigartige Bindungsstelle am Zytoskelett, die Bakterien nutzen, um menschliche Zellen effizient zu infizieren. Auch deshalb sind diese Kooperationen so wertvoll – weil sie uns ermöglichen, tief in Prozesse einzutauchen und Querverbindungen herzustellen.
Warum ist Hamburg für Ihre Forschungen „The place to be“?
Landau: Weil im CSSB am DESY alles unter einem Dach ist. Der Campus bietet Zugang zu exzellenter Technik, für die ich an meinem früheren Institut in Haifa reisen musste. Schön ist auch, dass alle an derselben Sache arbeiten, der Infektionsforschung. Anders als an einer Universität, wo viele Themen zusammenkommen. Hier habe ich Gelegenheit, mich auszutauschen und bekomme ständig neuen Input.
Topf: Ja, dies ist ein echter Knotenpunkt zur Erforschung von Infektionskrankheiten mit idealen Bedingungen, um unterschiedliche Krankheitserreger wie Viren, Bakterien und Parasiten zu untersuchen. Die beeindruckende Infrastruktur und fantastischen Kooperationen machen Hamburg zu einem äußerst attraktiven Standort für unsere Forschungen.
Marlovits: Das CSSB bringt die besten internationalen Köpfe der Infektionsbiologie lokal zusammen. Anstatt in der eigenen Nische zu arbeiten, bauen wir Brücken zwischen verschiedenen Institutionen, Forscher:innen und thematischen Feldern. Ich bin überzeugt, dass uns diese Fusion effektiver macht.
Mehr über das CSSB und die universitäre Vernetzung: www.cssb-hamburg.de
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