Doppelte Heilung
Zweimal Berlin, London, Düsseldorf, New York, Duarte (Kalifornien): Weltweit haben eine Frau und fünf Männer Medizingeschichte geschrieben. Sie wurden mit einer Stammzelltransplantation gleich doppelt geheilt – von ihrer HIV-Infektion und von Blutkrebs. Das UKE war an der Therapie des „Düsseldorfer Patienten“ beteiligt.
Text: Ingrid Kupczik, Fotos: Eva Hecht
Bei dem Mann war 2008 eine HIV-Infektion festgestellt worden. Er wurde mit Medikamenten behandelt, die die Viren in Schach hielten. „Die moderne antiretrovirale Therapie kombiniert mehrere Wirkstoffe. Sie ist sehr wirksam und gut verträglich, und die Betroffenen haben damit eine normale Lebenserwartung“, betont Prof. Dr. Boris Fehse, Leiter der UKE-Forschungsabteilung für zell- und genbasierte Therapien im UKE. Doch drei Jahre später erkrankte der Düsseldorfer zusätzlich an akuter myeloischer Leukämie (AML), einem aggressiven Blutkrebs. Nun wurde eine Stammzelltransplantation erforderlich.
Die Düsseldorfer Ärzte nutzten eine Behandlung, die bis dahin erst an zwei Personen erfolgreich durchgeführt worden war: Der Patient erhielt eine Stammzelltransplantation mit den Zellen einer Spenderin, die nicht nur die genau passenden Gewebemerkmale, sondern zudem eine Genmutation aufwiesen. Diese Mutation betrifft bestimmte Immunzellen, die T-Helfer-Zellen. Auf deren Oberfläche fehlt ein Rezeptor, den das HI-Virus benötigt, um in die Wirtszelle einzudringen. „Menschen ohne diesen molekularen Türöffner sind weitgehend resistent gegen HIV“, erläutert Infektiologe Prof. Dr. Julian Schulze zur Wiesch, Oberarzt in der I. Medizinischen Klinik und Poliklinik des UKE. Wäre eine Stammzelltransplantation, wie der Düsseldorfer Patient sie erhalten hatte, auch geeignet für HIV-Patient:innen, die „nur“ an Aids erkrankt sind? Nein, das sei „keine akzeptable Therapie, zumal die HIV-Patient:innen eine gute medikamentöse Behandlung haben. Die Risiken sind viel zu groß“, warnt Prof. Fehse und verweist auf mögliche schwere Nebenwirkungen der erforderlichen hoch dosierten Chemotherapie und Ganzkörperbestrahlung – vor allem auf das Risiko lebensbedrohlicher Infektionen und der „Spender gegen Wirt“-Krankheit: Nach der Stammzelltransplantation entsteht aus den Spenderzellen ein neues Immunsystem. Die Immunzellen erkennen nun womöglich gesundes Gewebe des Empfängers als fremd – und greifen zum Beispiel die Haut, Schleimhäute oder die Leber an, was zu schweren Komplikationen führen kann.
Eine mögliche Alternative: Man entfernt den „Türöffner“-Rezeptor für das HI-Virus aus dem Genom bestimmter Immunzellen – etwa mit der Gen-Schere CRISPR/Cas*. Oder man geht das HI-Virus direkt mit der Schere an. An beiden Ansätzen wird intensiv geforscht. In einer klinischen Studie untersuchen Wissenschaftler:innen des UKE und des Leibniz-Instituts für Virologie (LIV) mit Sitz auf dem UKE-Campus eine weitere Genschere, die in Kooperation mit der TU Dresden entwickelt wurde: „Brec1“ ist ein künstlich hergestelltes Enzym, das den HIV-Bauplan treffsicher und fehlerfrei aus der infizierten Immunzelle entfernt und so für Resistenz gegen den Erreger sorgt. „Die gesunden Zellen werden auf diese Weise geschützt“, erklärt Fehse. Brec1 wurde von einer Genschere abgeleitet, die in der Grundlagenforschung weit verbreitet ist, um einzelne Gene abzuschalten und so ihre Funktion aufzuklären.
Beim „Düsseldorfer Patienten“ verschwanden die Krankheitssymptome nach der Transplantation der Blutstammzellen. Die antiretroviralen Medikamente nahm er noch einige Jahre, seine Genesung wurde umfassend begleitet: Unter Federführung des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) wurden die Immunantworten gegen HIV im UKE anhand von Gewebe- und Blutproben kontrolliert, um zu prüfen, ob sich womöglich noch HI-Viren in langlebigen Immunzellen versteckten, die eine neue Infektion hätten auslösen können. „Doch schon kurz nach der Transplantation und im Verlauf der Studienjahre konnten wir weder vermehrungsfähige HI-Viren noch Antikörper oder reaktive Immunzellen gegen HIV feststellen“, resümiert Prof. Schulze zur Wiesch. „Das änderte sich auch nicht, nachdem der Patient seine antiretrovirale Therapie abgesetzt hatte.“
Zehn Jahre nach der Transplantation wurde der „Düsseldorfer Patient“ für von HIV geheilt erklärt. Die an diesem besonderen Erfolg beteiligten Wissenschaftler:innen und Ärzt:innen des UKE sowie der Unikliniken Düsseldorf, Erlangen und Köln wurden 2023 mit dem Preis der Deutschen Hochschulmedizin ausgezeichnet. Daran mitzuarbeiten, dass eine Heilung für Menschen mit HIV möglich ist, sei „eine großartige Erfahrung“, sagt Prof. Schulze zur Wiesch, „und eine in besonderer Weise befriedigende Aufgabe“.
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