Alzheimer-Forschung: Auf der Suche nach dem Auslöser
Mit einer einmaligen Forschungsgrundlage aus seiner kolumbianischen Heimat will Dr. Diego Sepulveda-Falla den Ursachen der Alzheimer-Erkrankung auf die Spur zu kommen – und die Forschung zu Alzheimer in neue Richtungen lenken.
Text: Julia Dziuba, Fotos: Eva Hecht
Nein, es sei nicht seine ursprüngliche Intention gewesen, zum jetzigen Zeitpunkt weiterhin an der Entstehung von Alzheimer zu forschen, sagt Sepulveda-Falla an einem regnerischen Sommertag in seinem Büro. Er habe andere Pläne gehabt. Dass er überhaupt in der Alzheimer-Forschung arbeiten würde, sei „ein Zufall“ gewesen. Pläne überwerfen, neu anfangen – Sepulveda-Falla kennt sich da aus. In Medellín in Antioquia/Kolumbien studierte er zunächst Grafikdesign, dann Industriedesign, brach das Studium aber ab, da es ihn nicht erfüllte – sein Job sollte für ihn tieferen Sinn und Bedeutung haben, sagt Sepulveda-Falla rückblickend. So kam er zur Medizin, stellte im Zuge des Studiums jedoch fest, dass die Routinen eines klinischen Alltags nichts für ihn sind: „Deshalb habe ich mich für die Forschung entschieden.“ Er schildert, wie er als Student zu spät zu einem Anatomie-Seminar gekommen sei und in dem bereits dunklen Raum die große Projektion eines Gehirns gesehen habe – „Liebe auf den ersten Blick“ sei es gewesen. Sepulveda-Falla fokussiert sich auf die Neurowissenschaften und gelangt noch als Student über Umwege zur Forschungsgruppe von Dr. Francisco Lopera. Lopera forscht zu diesem Zeitpunkt bereits etwa 15 Jahre zu einer insgesamt etwa 5000 Personen umfassenden Population in Medellín, die die sogenannte Paisa-Mutation in sich trägt – eine besonders schwerwiegende und früh einsetzende Form von Alzheimer: Träger:innen der Mutation entwickeln im Durchschnitt bereits mit Mitte 40 Symptome der Erkrankung und sterben einige Jahre später hieran.
Sepulveda-Falla hilft mit, Gewebeproben bei den Patient:innen, die ihre Gehirne post mortem Lopera und seinem Team zur Verfügung gestellt haben, zu entnehmen. Als eine Forschungskooperation mit dem UKE startet, kommt Sepulveda-Falla mit den Gewebeproben 2008 nach Hamburg. Er habe seinen Forschungsstandort selbst wählen dürfen, sagt er. Von Deutschland habe er nichts gewusst – dies sei mitausschlaggebend für seine Entscheidung gewesen: „Deutschland hat sich mehr nach einem Abenteuer angehört.“ Von Hamburg ist er begeistert, die Stadt sei mit ihrer Architektur, der Alster, den Grünflächen und Parks eine der schönsten, die er kenne, sagt er. Um wie früher in seiner Freizeit auf der Alster zu rudern, fehlt ihm aber mittlerweile die Zeit. Er hat Familie, Zwillinge im Kita-Alter. Zudem leitet er seit rund fünf Jahren ein achtköpfiges Forschungslab am UKE, mit dem er nichts weniger als einen Richtungswechsel in der Alzheimer-Forschung vorantreiben will.
„Der Schwerpunkt meiner Forschung hat sich verschoben“, sagt er. Als Sepulveda-Falla nach Hamburg kam, hatte sich in der Alzheimer-Forschung die Annahme durchgesetzt, dass die Ablagerung des Proteins beta-Amyloid der zentrale Ansatzpunkt für mögliche Behandlungsstrategien bei Alzheimer sei. Beta-Amyloid ist ein Fragment des Proteins APP. Liegen bestimmte Mutationen von APP vor, wird vermehrt beta-Amylod gebildet, das sich zu großen Plaques zusammenschließen kann – ein Charakteristikum von Alzheimer, da durch diesen Prozess Nervenzellen im Gehirn absterben. Die Frage nach der Entstehung und Behandlung von Alzheimer sei aber nicht so einfach zu beantworten, wie es der damalige Forschungsstand nahegelegt habe, sagt Sepulveda-Falla, und meint das durchaus selbstkritisch. Auch werde es keine magische Pille geben, mit der man die Krankheit quasi per Fingerschnips heilen könne; wahrscheinlicher seien personalisierte Therapieansätze.
Auf individueller Ebene setzt auch die Arbeit seines Forschungslabs an: Die Wissenschaftler:innen suchen auf Basis von 125 Proben, die von Gehirnen der Träger:innen der Paisa-Mutation stammen, zunächst nach singulären Geneffekten. Im Mittelpunkt standen dabei zuletzt zwei Personen der Population, die erst 25 bis 30 Jahre später als der Durchschnitt Symptome der vererbten Alzheimer-Erkrankung gezeigt hatten. Was hatte sie vor einem früheren Krankheitsausbruch bewahrt? Sepulveda-Falla und sein Team sowie ihre Kolleg:innen der Universität von Antioquia und der Harvard Medical School konnten hier mit der sogenannten APOE-Christchurch- sowie der Reelin-Mutation Genvarianten in unterschiedlichen Proteinen identifizieren, die eine schützende neuronale Wirkung bei Alzheimer aufweisen – entsprechende Effekte wurden in Folgestudien auch für größere Populationen nachgewiesen. Auch scheint insbesondere der entorhinale Kortex, eine Schlüsselregion des Gehirns für Lernprozesse und Gedächtnis, von der Schutzwirkung zu profitieren. Ein Durchbruch?
Auf jeden Fall realisiere man aktuell, dass sich in der Forschung etwas bewegen müsse, so Sepulveda-Falla. Er würde gern herausfinden, was Alzheimer wirklich ausmache. Dabei geht es ihm um ein grundsätzliches Verständnis der Erkrankung. Was Alzheimer pathologisch im Gehirn anrichte, sei mit Kriegstrümmern vergleichbar: „Alles, was man da sieht, sind die Reste einer Katastrophe.“ Diese Pathologie werde mit dem Krankheitsmechanismus durcheinandergebracht: „Was wir die letzten hundert Jahre gemacht haben, ist, nach Überbleibseln in diesen Resten zu suchen, um herauszufinden, was hier passiert ist.“ Seines Erachtens ist dies nicht der richtige Weg – wenn sich Symptome der Erkrankung bemerkbar machten, sei es viel zu spät: „Was auch immer Alzheimer verursacht, passiert 30 Jahre vorher.“ Dieses Ereignis zu identifizieren sei zentral, um dann den Krankheitsmechanismus zu stoppen: „In dem Moment werden wir etwas bewirken können.“