Die Zukunft im Gepäck
Als Prof. Dr. Madeleine Bunders vor sechs Jahren von Amsterdam nach Hamburg zog, hatte sie ein revolutionäres Verfahren im Gepäck: Die Organoid-Technologie, mit der sich menschliche Organe mikroskopisch klein nachbilden lassen. Die Kinderärztin, die in der III. Medizinischen Klinik des UKE und am Leibniz-Institut für Virologie tätig ist, erforscht die Wechselwirkungen zwischen menschlichen Immunzellen und Gewebeentwicklung – seit dem 1. September 2023 mit einer Heisenberg-Professur der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).
Dass sie sich auf Kinderheilkunde spezialisieren würde, stand für Prof. Bunders von Anfang an fest. „Einem kranken Kind medizinisch zu helfen und es dann wieder lächeln zu sehen, ist so beeindruckend. Das erfüllt mich einfach mit Freude“, sagt sie mit strahlenden Augen. Seit vielen Jahren beschäftigt sich die Niederländerin, die Klinik und Forschung stets verbunden hat, mit dem kindlichen Immunsystem. Wissenschaftlich gearbeitet hat Prof. Bunders immer schon, auch im Studium, das sie hauptsächlich an der Medizinischen Fakultät in Amsterdam absolviert; mit mehrmonatigen Zwischenstopps in London und im indonesischen Yogyakarta für diverse immunologische Forschungsprojekte. Nach ihrer Ausbildung wechselt die heute 45-Jährige ans Hubrecht Institute in Utrecht und erlernt dort die innovative Organoid-Technologie, die heute bereits in viele Bereiche der medizinischen Forschung Einzug gehalten hat.
Warum sie gerade das menschliche Immunsystem fasziniert? „Weil es so komplex ist und ähnlich wie unser Gehirn nie auslernt“, sagt die Wissenschaftlerin. Lange habe sie sich damit beschäftigt, wie sich dieses System immer weiter entwickelt. Wie Immunzellen Schicht um Schicht Informationen aus der Umwelt sammeln, um gegen Gefahren von außen – wie Viren, Bakterien oder Parasiten – gerüstet zu sein. „Wir sehen in unseren Untersuchungen aber auch, wie das Immunsystem krank machen kann. Zum Beispiel wenn es, wie im Fall von Frühgeborenen, gegen Erreger von außen noch keine passende Immunantwort parat hat, überreagiert und schwere Entzündungsreaktionen im Darm auslöst.“ Das Immunsystem kann demnach beides: schützen oder – wenn im Entwicklungsprozess etwas schief läuft – auch Entzündungen hervorrufen. Das ist jedoch längst nicht alles. Im Rahmen ihrer Forschungen fokussiert Prof. Bunders auf eine dritte, ganze neue Aufgabe des Immunsystems. „In Studien konnten wir zeigen, dass das Immunsystem im kindlichen Organismus auch dafür zuständig ist, die Entwicklung von Organen und Gewebe zu fördern und zu regulieren“, so die Wissenschaftlerin. Womöglich könnten Immunzellen erkranktes Gewebe sogar heilen, indem sie dessen Wachstum anregen.
Eine These, die Prof. Bunders mit ihrem Team jetzt im Rahmen ihrer Heisenberg-Professur überprüfen will. „Um genauer zu verstehen, wie Immunsystem und Gewebe interagieren und miteinander kommunizieren, nutzen wir Organoide von Darm, Leber, Lunge und Niere“, sagt sie und schaut dabei durchs Mikroskop auf eine Ansammlung von Zellen, die wie schwarz umrandete Kreise in der Petrischale schwimmen. Fasziniert erklärt sie: „Das Tolle an Organoiden ist, dass sie aus menschlichem Gewebe im Labor in bis zu vier Wochen zu einem dreidimensionalen Mini-Organ heranreifen und viele Charakteristika des ursprünglichen Organs behalten.“ Dadurch ließen sich nicht nur individuelle Krankheitsmechanismen besser verstehen. Auch zielgenauere, personalisierte Therapien wären möglich. Und, falls sich ihre Theorie bestätigt, vielleicht sogar Immuntherapien zur Regeneration von Gewebe.
Aber bis dahin sei es noch ein langer Weg, dämpft Prof. Bunders die Erwartungen und nippt vorsichtig an ihrem Tee, den sie seit ihrer Londoner Zeit vorzugsweise tiefschwarz mit einem Schuss Milch trinkt. „Hier am UKE haben wir dank der fantastischen Kooperation zwischen Forschungscampus und Kliniken ideale Bedingungen, um unsere Analysen durchzuführen und zu neuen Ergebnissen zu kommen. Auch innerhalb der Sonderforschungsbereiche, wie dem SFB 1328 (Adeninnukleotide in Immunität und Entzündung) sowie dem SFB 1192 (Immunvermittelte glomeruläre Erkrankungen)“, gerät sie doch ins Schwärmen. Überhaupt fühle sie sich sehr wohl in Hamburg. Neben ihren Forschungen bereitet ihr auch die Lehre große Freude. Gern würde sie zudem wieder klinisch tätig sein. Mit dem Fahrrad – für Prof. Bunders selbstverständlich ein Hollandrad – liegt die Klinik zum Glück ja nur einen Steinwurf entfernt.
Text: Nicole Sénégas-Wulf, Foto: Axel Kirchhof