Die Spritze gegen den Killer
Ein Impfstoff gegen schwarzen Hautkrebs – dieser Traum scheint zum Greifen nah. Forscher:innen des UKE sind an internationalen Studien beteiligt. Sie könnten zum Durchbruch in der Behandlung gegen die tückische Krankheit verhelfen.
Text: Silvia Dahlkamp, Fotos: Axel Kirchhof
Eine Spritze, ein Pieks, ein kleines Pflaster – das war‘s. Oft ist Wissenschaft ein Krimi, der für Außenstehende ganz und gar unspektakulär wirkt. Doch nicht für viele Hochrisikopatient:innen im Hauttumorzentrum des UKE . Für sie bedeutet dieser Pieks vor allem eins: Hoffnung. Die aktuell mehr als 40 Frauen und Männer nehmen an einer Impfstudie gegen das maligne Melanom, wie der schwarze Hautkrebs auch genannt wird, teil. Die personalisierte mRNA-Impfung richtet sich gegen aggressive, winzig kleine Mikrometastasen, die sich irgendwo im Körper verstecken. „Da kein Tumor dem anderen gleicht, müssen wir für jede:n Patient:in eine eigene Abwehrstrategie finden“, sagt Prof. Dr. Christoffer Gebhardt, Leiter des Hauttumorzentrums am UKE.
Hautkrebs ist mit mehr als 300 000 Diagnosen pro Jahr die häufigste Krebserkrankung in Deutschland. Die Betroffenen werden immer jünger, die Erkrankungszahlen steigen immer schneller. Am gefährlichsten ist der schwarze Hautkrebs. „Abgesiedelte Krebszellen wandern unerkannt durch den Organismus und werden nicht selten zum Killer, wenn sich Tochtergeschwüre in der Umgebung, in Lymphknoten oder anderen Organen bilden“, so Gebhardt. Sein Team forscht seit Jahren an Therapien gegen die tückische Krankheit, bei der sich Monate oder manchmal auch erst Jahre nach der operativen Entfernung plötzlich Metastasen im Körper bilden. Diese gänzlich zu entfernen, ist eine große Herausforderung. „Das Risiko, dass der Krebs bereits weiter gestreut hat und dann später wieder auftritt, liegt je nach Risikotyp bei über 50 Prozent“, so der Dermato-Onkologe.
Bis vor wenigen Jahren gab es in solchen Situationen nur wenig Hoffnung. Mit der Entwicklung von Immuntherapien, sogenannten Checkpoint-Inhibitoren, lässt sich das Wiederauftreten der Erkrankung nach der OP wirkungsvoll zurückdrängen. Checkpoint-Inhibitoren lösen molekulare Bremsen des Immunsystems und machen versteckte Tumorzellen für die körpereigene Abwehr sichtbar. Die bahnbrechende Entdeckung wurde 2018 mit dem Medizin-Nobelpreis ausgezeichnet und hat neben der Hautkrebsbehandlung zum Beispiel auch die Therapie von Lungen-, Nieren- oder Blasenkrebs weiter vorangebracht. Die hochwirksamen Medikamente haben häufig jedoch starke Nebenwirkungen, die Patient:innen müssen sehr sorgfältig überwacht werden. Mit der neuartigen Krebsimpfung gehen die Bemühungen weiter, schwarzen Hautkrebs dauerhaft erfolgversprechend und auch nebenwirkungsarm zu behandeln. An einer weltweiten Phase-III-Studie dieser sogenannten individualisierten Neoantigentherapie ist auch das Hauttumorzentrum des UKE beteiligt. 1089 Frauen und Männern mit metastasierter oder Hochrisiko-Melanomerkrankung wird an über 100 Zentren weltweit ein auf sie persönlich zugeschnittener Impfstoff gespritzt. Dieser liefert den Zellen im Körper Erbinformationen des Tumors, die in der mRNA (messenger Ribonucleic Acid) gespeichert sind. Die ersten Ergebnisse von Vorläuferstudien waren so beeindruckend, dass internationale Wissenschaftler:innen von einem Quantensprung in der Medizin sprechen – und erstmals auch von einer Chance auf Heilung beim schwarzen Hautkrebs.
Bei der Impfung soll eine Art genetischer Steckbrief das Immunsystem über den Feind, die mutierten Proteine auf der Oberfläche der Tumorzellen, informieren. „Diese Eiweißmoleküle unterscheiden sich kaum von gesunden Zellen. Deshalb stuft die körpereigene Abwehr sie zumeist als harmlos ein“, so Prof. Gebhardt. Ein fataler Irrtum. 34 Merkmale, sogenannte Neoantigene, werden im Rahmen der Impftherapie ausgewählt, die das Immunsystem erkennen und bekämpfen kann, wenn man es entsprechend brieft. Damit das gelingt, müssen die Forscher:innen zunächst den genetischen Code eines Tumors entschlüsseln. Das passiert in einem Zentrallabor in den USA. Dorthin wird das tumoröse Gewebe der Studienteilnehmer:innen geschickt. Wie unterscheidet es sich von gesunden Zellen? Wo gibt es mögliche Angriffspunkte? „Mithilfe künstlicher Intelligenz können selbst geringste Erbgutveränderungen festgestellt und die für eine Immunantwort wichtigen Sequenzen identifiziert werden“, sagt Gebhardt. Innerhalb von sechs Wochen wird für jede:n Patient:in ein eigener mRNA-Impfstoff* designed und per Kurier zurück nach Deutschland geschickt. Dieser wird parallel zu einer Immuntherapie ein Jahr lang etwa alle sechs Wochen in den Oberarm gespritzt. Gebhardt: „Unser Abwehrsystem kann ein Gedächtnis für Krebszellen entwickeln. Wenn es erst einmal weiß, gegen wen es kämpfen muss, kann eine Attacke viel präziser ablaufen.“
Die aktuelle Studie läuft noch bis ins kommende Jahr, die ersten Ergebnisse werden voraussichtlich 2026 veröffentlicht. Doch in Fachkreisen wird erwartet, dass die erste personalisierte mRNA-Impfung zeitnah auf den Markt kommt. „Bei drei von vier Studienteilnehmer:innen der Vorläuferstudie ist der schwarze Hautkrebs auch nach zweieinhalb Jahren nicht wieder aufgetreten“, zitiert Prof. Gebhardt aktuelle Daten. „Die bisherigen Studienergebnisse stimmen uns optimistisch, dass die individualisierte Neoantigentherapie einen wichtigen Beitrag für das Ziel leisten könnte, das Wiederauftreten einer Melanomerkrankung zu verhindern und damit Heilung zu ermöglichen.“ Wie viele seiner Kolleg:innen hofft auch er, dass die Impfung gegen den schwarzen Hautkrebs ein Vorreiter für die Behandlung etwa von Darm-, Bauchspeicheldrüsen-, Prostata- oder Lungenkrebs werden kann.
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