Vibes für die Seele
Leon kann sich noch gut an den Corona-Lockdown erinnern, als er weniger Freunde treffen konnte und einsamer zu werden drohte. Dass Musik bei psychischen Problemen helfen kann, ließ unseren Kinderreporter aufhorchen – und mit Musiktherapeut Hauke Böhmer aus der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik in den Austausch kommen.
Leon: Was erreicht die Musik, was andere Psychotherapien nicht können?
Hauke Böhmer: Musiktherapie ergänzt die Sprache. Sie ermöglicht, sich auf kreativ-spielerische Art zu begegnen und Gefühle intuitiv auszudrücken. Indem ich etwa einfach mal unzensiert ein Instrument ausprobiere, kann ich eine Pause vom Grübeln schaffen – und die Stimmung aufhellen.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Musiktherapeut zu werden?
Musik hat schon in meiner Kindheit eine Rolle gespielt. Später habe ich mich im Haus der Jugend engagiert, etwa mit Menschen mit Behinderung gearbeitet oder Bands gecoacht. Nach einem Master der Musiktherapie an der Hochschule für Musik und Theater und Praktika bin ich 2014 im UKE als Therapeut eingestiegen.
Wo im UKE gibt es die Möglichkeit zur Musiktherapie?
Neun Musiktherapeut:innen bieten Musiktherapie für Erwachsene, Kinder und Heranwachsende im Kinder-UKE, in der Onkologie, der Psychiatrie, der Medizinischen Psychologie und der Parkinson-Tagesklinik an. Als Lehrklinik der Hochschule für Musik und Theater ermöglichen wir den Musiktherapiestudierenden zudem praktische Einblicke.
Wer kommt zu Ihnen?
Bei uns behandeln wir Kinder und Jugendliche beispielsweise mit Depressionen und Angststörungen. Tatsächlich kommen mehr Mädchen als Jungen, einzeln oder in Gruppen mit bis zu fünf Personen zu mir – rund fünf Termine pro Tag biete ich in der Regel an.
Haben sich die Krankheitsbilder über die Jahre verändert?
Die Corona-Pandemie hat Ängste geschürt, soziale Netzwerke wie TikTok verschärfen zum Beispiel das Cybermobbing – auch Transgenderaspekte machen unsere Arbeit heute komplexer. Insgesamt sind die psychischen Schwierigkeiten immer Spiegel von Kultur und Zeitgeist. Nicht zuletzt deshalb ist der Austausch der Therapeut:innen untereinander wichtig: Wir überprüfen uns und unsere Einschätzungen gegenseitig.
Was macht einen guten Musiktherapeuten aus?
Vor allem authentisch zu sein! Auch Offenheit für verschiedene Musikstile ist wichtig. Ich versuche, meine Wahrnehmung für mein Gegenüber und seine Bedürfnisse zu schärfen. Dinge dürfen auch mal einfach so aus dem Moment heraus spielerisch entstehen. Zuzugeben, dass einem gerade selbst nichts einfällt, kann ebenfalls die Beziehung verbessern. Wir leben in einer Gesellschaft der Leistungsorientierung, sollen immer funktionieren. Das Spielerische tut gut, und wir können darüber viel besser mit unseren Gefühlen in Kontakt kommen.
Was mögen Sie daran, Musiktherapeut zu sein, was fällt Ihnen schwer?
Ich mag genau das Verspielte und die Begegnung in der Musik – ganz abseits von der jeweiligen Erkrankung. Wenn das Krankheitsbild allerdings zur Identität geworden ist, wird es schwierig, aufzuzeigen, wie sich der Mensch beispielsweise beruhigen kann. Besonders herzzerreißend sind die Schicksale derer, die wiederholt in Therapien kommen oder bei denen die Familie nicht mit uns kooperiert.
Gibt es Begegnungen, die Ihnen in besonderer Erinnerung geblieben sind?
Ja! Wenn Menschen beispielsweise gar nicht sprechen, also mutistisch sind, ist das sehr machtvoll. Da können Angehörige und auch ich schon ins Schwimmen geraten. Wahrnehmbar werden dabei starke Gefühle wie Ohnmacht oder Ärger. Wenn die Musik dann der einzige Kanal für einen Austausch ist, sich eine ganz andere Welt aufschließt und Kontakt doch möglich wird, ist das sehr beeindruckend, auch für mich als Therapeut.
Was raten Sie Kindern und Jugendlichen mit psychischen Problemen?
Am wichtigsten ist es, in Kontakt zu treten. Wir Therapeut:innen haben im Übrigen Schweigepflicht und können damit einen geschützten Raum anbieten, in dem Schwierigkeiten zum Ausdruck gebracht werden können.