EIn Kraftakt für Kinder
Unangenehm, so ein Nasenabstrich! Wie Emmy, 12, haben viele tausend Kinder aus Hamburg die Prozedur über sich ergehen lassen, damit geklärt wird, welche Rolle sie in der Corona-Pandemie spielen. Die Studie „C19.CHILD Hamburg“ gibt wichtige Hinweise, die helfen können, den Alltag in Schulen und Kindergärten risikogerecht zu gestalten.
Am Frühstückstisch habe es angefangen, erzählt Prof. Dr. Søren W. Gersting, Leiter des Forschungszentrums der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin. „ ,Meinst Du, Du kannst 10 000 Kinder testen?‘, fragte mich meine Frau.“ Theoretisch ja, habe er geantwortet – und in dem Moment gewusst, dass in nächster Zeit viel Arbeit auf ihn zukommen würde. „So eine Frage stellt sie nicht ohne Hintergedanken.“ Beide arbeiten seit mehr als 15 Jahren zusammen, Prof. Dr. Ania C. Muntau leitet die Kinderklinik. „Ich habe mich damals gefragt, was passiert im Kinder-UKE, wenn die Pandemie richtig losgeht? Wir behandeln Kinder mit chronischen Erkrankungen. Müssen wir die besonders schützen? Und: Geht von den Kindern, vor allem von den kleineren im Kita- und Grundschulalter, ein besonderes Risiko aus?“
Zusammen mit dem Kinderkardiologen Prof. Dr. Thomas S. Mir vom Universitären Herz- und Gefäßzentrum entwickelten sie ein Konzept für eine Studie. Die erste Idee: 10 000 Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre auf das Virus testen, in einem coronakonform geplanten Parcours mit Teststationen für Fußgänger, Fahrräder und Autos auf dem Heiligengeistfeld. Dabei blieb es. Hamburg befand sich im Lockdown, das Vorhaben wurde nicht gestattet.
Die Öffentlichkeit schaut zu
Sie mussten umdenken. Und sich später auch an den Rummel gewöhnen, der Forschungsarbeiten zum Corona-Virus begleitet. Seit im Mai ihre Studie mit dem Projektnamen „C19.CHILD Hamburg“ (COVID-19 Children Health Investigation of Latent Disease in Hamburg) begann, schaut ihnen die Öffentlichkeit über die Schulter. „Wir arbeiten eigentlich in der Stoffwechselmedizin und kümmern uns um Kinder mit seltenen angeborenen Erkrankungen. Das sind Themen, für die sich in aller Regel deutlich weniger Menschen interessieren“, erläutert Prof. Gersting.
Den zweiten Versuch gingen sie pragmatisch an. „Wir wollten nun Kinder und Jugendliche untersuchen, die in Hamburg eine Kinderklinik aufsuchen“, beschreibt Prof. Muntau das Vorhaben. Mit Nasen-Rachenabstrichen und PCR-Untersuchungen im Labor wollten sie prüfen, ob jemand akut infiziert ist oder nicht. Zudem sollte ein Bluttest zeigen, ob die Kinder und Jugendlichen Antikörper gegen das SARS-CoV-2-Virus ausgebildet hatten. Bei positiven Fällen wollten sie alle im gleichen Haushalt lebenden Personen – Eltern, Geschwister, Großeltern – untersuchen, um Infektionsketten nachvollziehen zu können. Offene Türen rannten sie damit nicht ein. Im Gegenteil: „ ,Die Studie ist zum Scheitern verurteilt‘, war die Meinung vieler Kinderärzte, mit denen wir gesprochen hatten“, erläutert Søren Gersting. Eltern würden nicht zulassen, dass ihren Kindern dafür Blut abgenommen werde, so der Vorbehalt.
Wir haben im Schichtsystem die Nasen- und Rachenabstriche bearbeitet –
sechs bis sieben Tage die Woche, 16 Stunden am Tag.
Prof. Dr. Søren W. Gersting, Kinder- und Jugendmedizin
Es kam anders: Innerhalb von nicht mal zwei Monaten konnten die Forschenden 6113 Kinder und Jugendliche testen. Mehr als die Hälfe davon waren Freiwillige, die ohne dringenden medizinischen Grund ins UKE kamen. „Wir haben im Labor im Schichtsystem die Nasen- und Rachenabstriche bearbeitet – sechs bis sieben Tage die Woche, 16 Stunden am Tag“, erinnert sich Gersting. In die Auswertung flossen am Ende Daten von 5908 Kindern aus 4506 Familien ein. Beteiligt an dem Mammutprojekt waren über 100 Ärztinnen und Ärzte, Pflegende, Studierende, Laborkräfte sowie Expertinnen und Experten für Statistik und Wirtschaftswissenschaften.
Großes Engagement der Hamburger Bevölkerung
Was das Ärzteteam nicht erwartet hatte: Vom Kleinkind bis zum Jugendlichen gaben knapp 80 Prozent aller Untersuchten eine Blutprobe ab. „Das zeigt, wie stark Eltern und Kinder an dem Thema interessiert sind“, unterstreicht Ania Muntau. Neben der Hamburger Bevölkerung hätten viele Stiftungen und Sponsoren das Vorhaben unterstützt; ohne sie wäre die Umsetzung kaum möglich gewesen. Das Beste, darin sind sich die Kinderärzte einig, ist aber das Ergebnis ihres wissenschaftlichen Kraftakts: „Wir haben die weltweit größte Kohorte an Kindern im Rahmen einer prospektiven Studie zu SARS-CoV-2 untersucht“, sagt Prof. Muntau. „Und unsere Daten sind von Relevanz. Man kann daraus sehr viel ableiten, um künftige Maßnahmen zu steuern.“
Mehr Infos zur Studie unter: http://c19child.hamburg