Forschen mit Farben
Das Monitorbild wirkt wie ein Kunstwerk; farbige Punkte, wie von einem Pinsel getupft. Es sind Klone von Krebszellen, die mit einem neuartigen Verfahren markiert wurden. Die Methode haben UKE-Forscher erfunden. Inzwischen wird sie weltweit verwendet.
„Dank der Farbmarkierung können wir erkennen, welche der Krebszellen länger leben als andere und Metastasen bilden können“, sagt Prof. Dr. Boris Fehse aus der Klinik für Stammzelltransplantation. Der Wissenschaftler untersucht mit seinem Team unter anderem Mechanismen der Metastasierung. Die Farbmarkierung hilft, eine für diesen Prozess entscheidende Frage zu beantworten: Welche Zellen sind für die Bildung von Tochtertumoren verantwortlich? „Ist es ein zufälliger chaotischer Prozess, bei dem wahllos Zellen des ursprünglichen Tumors ins Blut abgegeben werden und von denen es einige schaffen, sich woanders im Körper anzusiedeln? Oder sind nur spezielle Zellen in der Lage abzuwandern und sich in fremder Umgebung wieder anzusiedeln?“ Falls ja, wie genau unterscheiden sie sich von anderen Zellen des Tumors? Welche Eigenschaften verschaffen ihnen den Vorteil?
Um das herausfinden zu können, ist es notwendig, die verschiedenen Zelllinien, die einen Tumor bilden, möglichst eindeutig – und gut sichtbar – markieren zu können. Dies geschieht, indem man die Gene für farbige Proteine in die Zellen einschleust und die „Farben“ dann von der biochemischen Maschinerie der Zellen produzieren lässt. Werkzeuge zum Einschleusen von Genen in lebende Zellen sind in der Grundlagenforschung etabliert. Sie heißen Gentransfervektoren („Gentaxis“) und gehen auf Viren zurück, die sich im Laufe der Evolution darauf spezialisiert haben, ihre krankmachenden Gene in die Zellen von Menschen einzubauen.
Auch die UKE-Forscher griffen auf Transfervektoren zurück, die sie allerdings an ihre Zwecke anpassen mussten. „Wir nahmen Vektoren, die von Lentiviren, deren bekanntester Vertreter das menschliche HI-Virus ist, abstammen. Daraus entwickelten wir ein modulares, dem Baukastenprinzip folgendes Vektorsystem, welches sich für eine Reihe unterschiedlicher Anwendungen eignet“, erklärt Dr. Kristoffer Riecken. Der Name dafür lag quasi auf der Hand: LeGO-Vektoren. „Mittlerweile ist unser LeGO-System sehr populär und wurde bereits für weit mehr als 100 Publikationen aus Dutzenden Laboren weltweit benutzt.“
Fluoreszenzproteine aus dem Meer
Fehlt noch die Fracht für die Vektoren: die Farbproteine. Sie stammen vielfach aus dem Meer: Korallen, Quallen und andere Organismen haben fluoreszierende Proteine entwickelt, die wie Textmarker leuchten, wenn sie mit kurzwelligem Licht angeregt werden. Für das geplante Vorhaben reichte die zur Verfügung stehende molekulare Farbpalette nicht aus, die Zahl der unterscheidbaren farbigen Marker war zu beschränkt. „Aber gerade bei der Untersuchung der Entstehung, Entwicklung und Therapie bösartiger Krankheiten ist es wichtig, möglichst viele Zellen parallel zu verfolgen, um die Variabilität der Zellklone darstellen zu können“, erläutert Fehse.
Wie aber lässt sich mit der vorhandenen, begrenzten Zahl unterscheidbarer Fluoreszenzproteine eine möglichst große Zahl unterschiedlicher Zellklone so markieren, dass sie sich gut voneinander unterscheiden lassen? Die theoretische Lösung dieses Problems hatten die Forscher täglich vor der Nase. Sie mussten nur drauf kommen – und die Lösung den Bedingungen eines zellbiologischen Labors anpassen. „Die Idee war, der additiven Farbenlehre folgend aus den Grundfarben Rot, Grün und Blau jede beliebige Mischfarbe zu generieren, ganz so wie es ein Fernseher oder ein Computerbildschirm macht“, sagt Kristoffer Riecken. Aber kann man dieses Prinzip tatsächlich auf die Zellmarkierung mit Fluoreszenzproteinen übertragen? Um das zu prüfen, infizierten sie schließlich Zellkulturen mit LeGO-Vektoren, die jeweils ein Fluoreszenzprotein mit einer der drei Grundfarben enthielten. Nachdem die Zellen einige Tage gewachsen waren – und die jeweils individuelle Mischung ihrer neuen Farbgene bei jeder Teilung an die Tochterzellen weitergegeben hatten –, kam die Stunde der Wahrheit. Die Zellkulturen wurden im abgedunkelten Labor mit kurzwelligem Licht bestrahlt. Kristoffer Riecken blickte durch das Mikroskop. „Das war ein Aha-Erlebnis. Die Zellen waren tatsächlich bunt!“
RGB-Marking ermöglicht Zellanalysen
Aufgrund der unterschiedlichen Mischverhältnisse der Grundfarben entwickelte jede markierte Zelle ihre eigene Farbe – verteilt über den gesamten Bereich aller sichtbaren Farben. In Anlehnung an die Farbgebung nannten die Forscher ihre neue Methode RGB-Marking. „Im nächsten Schritt mussten wir nachweisen, dass das RGB-Marking auch die Analyse maligner Erkrankungen im lebenden Organismus erlaubt“, sagt Boris Fehse. Auch das gelang – am Beispiel von Lebertumoren und in Kooperation mit anderen Wissenschaftlern des UKE im Sonderforschungsbereich SFB 841 „Leberentzündungen“. Inzwischen hat das umtriebige Duo ein Netzwerk von Kooperationen innerhalb des UKE, aber auch mit mehreren internationalen Partnern etabliert, um die Heterogenität entstehender Tumoren zu untersuchen.
Text: Arnd Petry
Fotos: Axel Kirchhof