„wissen+forschen“ zur Corona-Forschung im UKE
Klinik und Forschung gehen im UKE Hand in Hand – das haben die Ereignisse rund um das Corona-Virus SARS-CoV-2 eindrucksvoll gezeigt. Dekanin Prof. Dr. Blanche Schwappach-Pignataro und Prof. Dr. Burkhard Göke, Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender, erläutern die Entwicklung der vergangenen Monate.
Ein dreiviertel Jahr Corona-Pandemie –
wie fällt die Zwischenbilanz aus?
Prof. Göke: Wir haben vielfältige Erfahrungen aus EHEC, Ebola und ähnlichen Ereignissen mitgebracht, haben eine hervorragend organisierte Infektiologie und eine kompetent geführte Hygieneabteilung aufgebaut – gleichwohl sind wir von der Wucht, mit der die erste Welle im Frühjahr auf uns niederging, überrascht worden.
Inwiefern?
Göke: Zu uns sind besonders schwer erkrankte Patientinnen und Patienten aus Hamburg und Umgebung gekommen, und einige auch aus dem Ausland. Das hat unsere Intensivkapazitäten extrem belastet und war für alle eine logistische Herausforderung bisher nicht gekannten Ausmaßes.
Wir mussten lernen, dass es Patienten gibt, die noch mehr Schutz benötigen als andere, etwa Krebspatienten oder Patienten mit eingeschränkter Immunabwehr nach Organtransplantation.
Parallel zur Patientenversorgung sind die Forscherinnen und Forscher aktiv geworden. Erste wissenschaftliche Publikationen gab es bereits im März. Wie war das so schnell möglich?
Prof. Schwappach-Pignataro: Hier sind alle Vorteile des integrativen Modells im UKE zum Tragen gekommen. Klinik, Forschung und Lehre stehen bei uns im permanenten Austausch; das zahlt sich aus. Wir haben viele Kolleginnen und Kollegen, die mit großer Begeisterung und viel Herzblut beobachten, fragen, Hypothesen testen und Wissen teilen. Fragestellungen aus der Klinik gehen ins Labor und die Ergebnisse kommen unmittelbar zurück ans Krankenbett. Aus meiner Sicht erleben wir das Forschungssystem, so traurig es im Zusammenhang mit den schlimmen Folgen der Pandemie auch klingt, in einer Art Sternstunde.
Die Themenvielfalt im UKE ist groß, Erkenntnisse etwa zu Thrombosen, Auswirkungen auf Nieren, Herz und Gehirn haben national und international große Beachtung gefunden. Welche Erklärung haben Sie dafür?
Schwappach: Nicht zu vergessen die psychosozialen Studien oder die gesundheitsökonomischen und epidemiologischen Aspekte, die wir untersuchen. Das alles spiegelt unseren breit aufgestellten Mix, den wir hier verfolgen. Die Kraft, die dahintersteckt, entsteht vor allem dadurch, dass sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf dem Campus und weit darüber hinaus eng austauschen.
Hat sich die öffentliche Wahrnehmung von Forschung verändert?
Göke: Es gibt kaum eine Talkshow oder eine politische Verlautbarung zu Corona, wo nicht eine Wissenschaftlerin oder ein Wissenschaftler mit am Tisch sitzt. Wir befinden uns nicht im Elfenbeinturm, sondern teilen unsere Ergebnisse gerne. Aber wir entscheiden nicht! Wir erarbeiten Zahlen, Daten und Fakten, um der Politik zu ermöglichen, richtige Entscheidungen zu treffen.
Das ist in der jüngeren Vergangenheit nicht immer reibungslos verlaufen.
Schwappach: Wenn sich durch neues Wissen etwas verändert, führt dies mitunter zu Turbulenzen in der Öffentlichkeit. Die Geschwindigkeit, mit der neue Erkenntnisse zu Tage traten, war schon für Wissenschaftler atemberaubend, für die Öffentlichkeit war es mitunter verwirrend und unverständlich.
Göke: Ich verstehe das Bedürfnis der Bevölkerung nach Sicherheit, sie wünscht sich Klarheit. Aber so einfach ist es nicht. Wenn Marylyn Addo sagt, wir entwickeln einen Impfstoff, aber der Impfstoff löst wahrscheinlich nicht alle Probleme, dann ist das hochrespektabel in den Augen eines anderen
Wissenschaftlers, aber tief irritierend für viele Menschen, weil sie gehofft hatten, jetzt kommt ein Stoff und der macht alles gut.
Schwappach: So ist es in der Medizin jedoch nie. Erreger, die Malaria und Tuberkulose auslösen, sind seit langem bekannt und wir wissen sehr viel über sie. Dennoch sind sie nicht verschwunden und plagen nach wie vor Millionen Menschen auf der Welt. Es gibt immer neue Erkenntnisse. Und jede neue Erkenntnis erzeugt neue Fragen.
Ihr Ausblick: Wie kommen wir durch die Pandemie?
Göke: Wer die Berichte unseres Medizinhistorikers Philipp Osten nachliest, der den Verlauf der Spanischen Grippe vor 100 Jahren aufgearbeitet hat, erkennt: Je bewusster und geplanter man mit
einer Epidemie umgeht, desto milder fällt sie aus. Die Hamburger haben damals schnell gelernt, in der zweiten Welle flachte die Sterblichkeit deutlich ab. Ich hoffe, dass wir auch so viel gelernt haben, mit unserem persönlichen Verhalten, mit dem Management rund um die Erkrankung, dass wir gemeinsam die weitere Ausbreitung des Virus stoppen können.
Eine aktuelle Übersicht der Projekte, Studien und Veröffentlichungen finden Sie hier:
www.uke.de/corona-forschung