Aus der Spur
Warum rauchen 12-Jährige, werden mit 14 depressiv oder saufen sich, kaum 16 Jahre alt, ins Koma? IMAGEN, eine europaweite Jugendstudie, geht den Fragen nach. UKE-Wissenschaftler suchen Antworten in den Gehirnen von 250 Jugendlichen.
„Mit 16, 17 habe ich mit Freunden schon mal das eine oder andere Bier getrunken“, sagt Phillip, 19. Sein verschmitztes Lächeln lässt erahnen, dass es wohl nicht immer bei einer Flasche geblieben ist. „Das hatte aber nie was mit Frust oder Enttäuschungen zu tun. Wir wollten einfach nur ein bisschen Spaß haben.“ Die Phase liegt längst hinter ihm; süchtig, keine Frage, war und ist er nicht. Vor wenigen Monaten hat Phillip ein Einser-Abitur „gebaut“, derzeit betreut er während eines Freiwilligen Sozialen Jahres eine diabeteskranke Zweitklässlerin.
„So positiv verläuft die Entwicklung nicht bei allen Jugendlichen“, erläutert Psychologin Uli Bromberg aus dem Institut für Systemische Neurowissenschaften. Jeder vierte Mensch erkrankt im Laufe seines Lebens ein- oder mehrmals an einer psychischen Störung. Die Basis dafür wird häufig in Kindheit und Jugend gelegt; etwa 20 Prozent der Mädchen und Jungen leiden an psychischen oder Verhaltensstörungen wie Depressionen oder Schizophrenie. Drogenmissbrauch kann Auslöser oder Folge solcher Störungen sein. „Die zentrale Frage unserer Studie lautet: Ist es möglich, Risiko oder auch Schutzfaktoren bei der Entstehung von psychischen Erkrankungen, insbesondere von Suchterkrankungen, zu identifizieren?“
Um es vorwegzunehmen: Beantworten können die Hamburger Neuroforscher die Frage noch nicht. Doch sie haben in den vergangenen Jahren – die EU-geförderte Verbundstudie wurde bereits 2007 initiiert und wird mitBMBF-Mitteln in Deutschland weitergeführt – erste Erkenntnisse gewonnen, dass Gehirne von jungen, alkohol- oder nikotinkonsumierenden Menschen anders arbeiten als die von drogenfrei lebenden Jugendlichen. Ob und welche therapeutischen Schlüsse daraus gezogen werden können, lässt sich heute allerdings noch nicht sagen.
Das Gehirn bei der Arbeit abbilden
Doch der Reihe nach. 2000 Mädchen und Jungen in Großbritannien, Irland, Frankreich und Deutschland wurden im Alter von 14 Jahren in die IMAGEN-Studie aufgenommen, 250 von ihnen aus Hamburg. Damit ist IMAGEN (www.imagen-europe.com) die erste und größte Längsschnittstudie weltweit, die der Entwicklung von Süchten im Kindes- und Jugendalter auf den Grund gehen will. Mit bildgebenden Verfahren sowie IQ-Tests und genetischen Untersuchungen haben die Forscher vor einigen Jahren die Basis gelegt. Mit 16 wurden die Jugendlichen erneut intensiv befragt. Jetzt, mit 18 oder 19, folgt die dritte Untersuchung.
Fragen zur Persönlichkeit, zur psychiatrischen Diagnostik, zur Familiengeschichte und zum Alkohol- und Drogenkonsum schließen sich Blutproben für die genetische Analyse sowie Aufnahmen mit der funktionellen Kernspintomographie (fMRT) an. „Mit solchen Verfahren, die das Gehirn bei der Arbeit abbilden, können Hirnaktivitäten untersucht werden, die bei der Entstehung psychischer Störungen möglicherweise eine Rolle spielen. So können wir potentielle Zusammenhänge zwischen Hirnaktivität, auffälligen Verhaltensmustern und genetischen Varianten aufklären“, erläutert Institutsdirektor Prof. Dr. Christian Büchel.
Untersucht wird im MRT-Scanner insbesondere das neuronale Belohnungssystem, ein weit verzweigtes Netzwerk verschiedener Hirnareale. Wie aktiv diese Verbindungen sind, lässt sich vom Menschen nicht bewusst steuern. In den Tests müssen die jungen Leute verschiedene Aufgaben lösen, für die sie mit einer bekannten Zahl an Bonuspunkten belohnt werden – oder eben nicht. Die Wissenschaftler messen, wie das Gehirn auf den erhofften Erfolg reagiert. „Bei 14-Jährigen, die bereits geraucht hatten, haben wir geringere Aktivitäten des Belohnungssystems gesehen als bei nichtrauchenden Jugendlichen Von den Folgeuntersuchungen erhoffen wir uns Aufschlüsse über das Rauchverhalten heute. Und wir wollen prüfen, ob wir neuronale Korrelate zum Verhalten im Belohnungssystem des Gehirns identifizieren können.“
Mehrdimensionales Suchtmodell
Ähnliche Ergebnisse haben die EU-Forscher für frühen Alkoholkonsum gefunden: Unter Federführung der irischen Wissenschaftler konnten sie ein mehrdimensionales Suchtmodell entwickeln, das mit 70-prozentiger Wahrscheinlichkeit vorhersagt, welcher 16-jährige Jugendliche, der bereits mit 14 Alkohol getrunken hatte, gefährdet für das sogenannte Komasaufen ist. Bromberg: „Genauso vielschichtig und komplex wie der Mensch ist, sind auch die Gründe für verstärkten Alkoholkonsum.
Der eine Jugendliche, der ein schlimmes Erlebnis in der Kindheit hatte, entwickelt sich normal, der andere mit einem ganz ähnlichen Erlebnis entwickelt eine schwere Suchtproblematik.“ Klar ist jedoch, das haben große Studien bereits belegt: Das Risiko, als Erwachsenerabhängig zu werden, ist umso größer, je früher, je mehr und je häufiger man als Jugendlicher Alkohol konsumiert hat. Mit 22, 23 werden die jungen Menschen ein weiteres Mal untersucht. Insbesondere die Langzeitdaten können dann zu neuen Erkenntnissen über die Zusammenhänge zwischen Suchterkrankungen, Entwicklung des jugendlichen Gehirns sowie Alkohol- und Drogenkonsum führen. „Die Zusammenarbeit mit den Jugendlichen ist toll“, schwärmt die in Dänemark aufgewachsene Wissenschaftlerin, die selbst zwei Jungen im Alter von 16 und 19 Jahren hat. „Die Jugend ist eine so spannende Phase im Leben mit vielen Herausforderungen, Schwierigkeiten und Gefahren, aber auch mit vielen Möglichkeiten, das eigene, riesengroße Potential zu entfalten. Wir hoffen, dass wir mit unseren Untersuchungen dazu beitragen können, dass die Jugendlichen, die einen besonders schwierigen Weg gehen müssen, wieder in die richtige Spur gelangen.“
Proband Phillip haben die vielen MRT-Aufnahmen, Fragebögen und Interviews nachhaltig beeindruckt. „Forschung fand ich schon immer spannend und die Wissenschaftler hier im UKE haben scheinbar auch viel Spaß an ihrer Arbeit, das gefällt mir“, sagt der 19-Jährige. Im nächsten Jahr will er mit einem Psychologiestudium beginnen – und später dann selbst in die Forschung gehen.
Text: Uwe Groenewold
Fotos: Axel Kirchhof