Zu viel oder zu wenig Therapie?
Wer benötigt neben einer OP noch weitere Therapien, bei wem kann darauf verzichtet werden? Seit Langem sucht das Team der Tumorbiologie nach Antworten – die hier mitentwickelte Flüssigbiopsie (Liquid Biopsy) hat großes Potenzial, der Lösung entscheidende Schritte näherzukommen.
Von Uwe Groenewold
In vielen Fällen verbleiben auch nach Abschluss einer Krebsbehandlung noch Tumorzellen im Körper der Patient:innen – sogenannte minimale (onkologische) Resterkrankungen (engl.: Minimal Residual Disease, MRD). Diese können Ausgangspunkt für ein späteres Wiederaufflammen der Erkrankung sein, das dann nicht selten einen deutlich schnelleren und schlechteren Verlauf nimmt als die Ersterkrankung. „Die Früherkennung von Metastasen, noch bevor erste Krankheitssymptome auftreten, ist eines der wichtigsten Ziele in der Krebsforschung, da Metastasen der Hauptgrund für die Aggressivität von Krebserkrankungen sind“, erklärt Institutsdirektor Prof. Dr. Klaus Pantel.
Über bildgebende Verfahren wie MRT oder CT sind einzelne bösartige Zellen oder Zellcluster meist nicht zu erfassen; sie geben allerdings kleine Fragmente ihrer Erbsubstanz (DNA) in den Blutkreislauf der Patient:innen ab. Diese Fragmente werden als zirkulierende Tumor-DNA (ctDNA) bezeichnet. Studien haben gezeigt, dass der Nachweis von zirkulierender Tumor-DNA die Prognose der Patient:innen deutlich verschlechtert: Das Risiko für ein Rezidiv erhöht sich, das krankheitsfreie Überleben verkürzt sich. „Das unterstreicht die Bedeutung der Liquid Biopsy, Rezidive frühzeitig vorherzusagen und gezielt zu bekämpfen“, so der Krebsforscher.
Mit der Flüssigbiopsie kann dies gelingen. Liquid Biopsy erlaube es, ohne invasive Eingriffe in den Körper zeitlich nahe unbegrenzt Proben zu gewinnen und so eine engmaschige Überwachung der Patient:innen zu ermöglichen, sagt Prof. Pantel und ergänzt: „Darüber hinaus haben jüngste Studien gezeigt, dass ctDNA-basierte Methoden früher ein metastatisches Rezidiv anzeigen als die derzeitige medizinische Bildgebung.“
In den vergangenen Jahren hat das Team um Krebsforscher Pantel in verschiedenen internationalen Forschungsprojekten die Entwicklung des Liquid Biopsy-Verfahrens vorangetrieben. 2023 gingen gleich zwei große Projekte unter UKE-Leitung an den Start: In dem von der EU bis 2027 mit knapp 10 Millionen Euro geförderten Projekt PANCAID („PANcreatic CAncer Initial Detection via Liquid Biopsy“) wollen die Wissenschaftler:innen Blutproben von Patient:innen mit Bauchspeicheldrüsenkrebs sowie von gesunden Personen und solchen mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko analysieren. Mit Hilfe von Computeranalysen und Künstlicher Intelligenz sollen die wesentlichen Biomarker identifiziert werden, die für die Entstehung von Bauchspeicheldrüsenkrebs verantwortlich sind. Am Ende des Prozesses soll das Design für eine klinische Studie stehen, in der der neue Bluttest zeitgleich in vielen europäischen Behandlungszentren auf seine Wirksamkeit überprüft wird. An dem Projekt GUIDE.MRD („GUIDing multi-modal thErapies against Minimal Residual Disease by liquid biopsies“) sind unter UKE-Leitung gleich 24 Partner aus 13 Ländern beteiligt. Die Gesamtförderung der EU beläuft sich auf 17,6 Millionen Euro, von den Industriepartnern kommen weitere 16,8 Millionen Euro dazu. Mit dem Geld sollen Liquid Biopsy-Verfahren zur besseren Diagnose von Darmkrebs, nicht-kleinzelligem Lungenkrebs und Bauchspeicheldrüsenkrebs weiterentwickelt und klinisch validiert werden.
Der standardisierte Einsatz von Flüssigbiopsien in der onkologischen MRD Diagnostik, so auch die Hoffnungvon Dr. Dr. Daniel J. Smit, Arzt und Forschungsgruppenleiter im Institut für Tumorbiologie, kann einen wichtigen Beitrag dazu leisten, Krebstherapien noch passgenauer auf das individuelle Krankheitsbild zuzuschneiden und Patient:innen so die bestmögliche Therapie zukommen zu lassen. „Im GUIDE.MRD-Projekt sollen die Forschungsergebnisse genutzt werden, um eine noch individuellere Präzisionsmedizin zu ermöglichen und eben genau jene Patient:innen durch Liquid Biopsy zu identifizieren, die eine zusätzliche Tumortherapie benötigen – und natürlich auch die, die keiner weiteren Therapie bedürfen, um diese vor behandlungsbedingten Nebenwirkungen zu bewahren.“ Damit sich spätestens nach Ablauf des Projekts 2028 die Frage „Zu viel oder zu wenig Therapie?“ gar nicht mehr stellt.
Mehr Informationen?
Auf den Seiten des Instituts gibt's weitere Details: www.uke.de/tumorbiologie