„Es gibt immer mehr Lösungen als Probleme“

Karl-Heinz Wolf hat zweimal fast sein Bein verloren.
Heute kann er wieder Motorrad fahren.


Würde Karl-Heinz Wolf, 72, an Wunder glauben, er hätte es wohl als eines empfunden, als er im vergangenen Jahr mit seiner Motorrad-Clique auf Tour war: in den Harz und zurück, über tausend Kilometer in wenigen Tagen. Gemeinsam in Motorrad-Kluft, jeder auf seiner eigenen Maschine. So wie es der ehemalige Polizist immer geliebt hat, aber wegen seines defekten Knies jahrelang nicht machen konnte. Nun aber, nach vielen Operationen und mit neuem Kniegelenk, geht es endlich wieder.

Text: Sandra Wilsdorf | Fotos & Film: Martin Steimann, Axel Kirchhof

Aber Wolf glaubt nicht an Wunder. Eher an Lösungen und daran, dass es davon immer mehr gibt als Probleme. Daran, dass am Ende immer alles gut ausgeht. Und das hat Wolf auch tatsächlich schon ein paarmal erlebt: 2005 wurde bei dem Rissener ein Myxofibrosarkom diagnostiziert, ein seltener und bösartiger Tumor in den Bindegewebszellen der unteren Extremitäten. Der Krebs war eher zufällig festgestellt worden, weil der Polizist bei der Verfolgung eines mutmaßlichen Dealers über eine Bank gestürzt und sich dabei das Knie verletzt hatte. Die anschließend auftretende Schwellung entpuppte sich schließlich als Tumor. „Weil ich den aggressivsten Typ hatte, lag meine Überlebenswahrscheinlichkeit wohl nur bei fünf Prozent. Aber das habe ich erst später erfahren und ging einfach davon aus, dass das Ganze gut ausgeht“, erzählt der Pensionär.

Wolf im Reitstall mit seiner Tochter
Karl-Heinz Wolf besucht seine Tochter Saskia im Reitstall

Der Optimist sollte recht behalten: Zwei Operationen und fast 50 Bestrahlungen später galt er als geheilt. Er hatte viele Jahre Ruhe, arbeitete sich als Hauptkommissar bis zum Leiter der Fernmeldeeinheit der Hamburger Bereitschaftspolizei nach oben. Doch 2019, in einem Marokko-Urlaub, wurde eine wohl schon vorher bestehende Infektion im betroffenen Knie so akut, dass Wolf umgehend nach Marrakesh ins Internationale Krankenhaus musste. „Die Entzündung platzte auf, und die Ärzt:innen wollten das Bein amputieren, haben es aber dann doch geschafft, mich so zu stabilisieren, dass ich nach Deutschland geflogen werden konnte“, berichtet Wolf.

Zurück in Hamburg wurde er sieben Wochen in zwei verschiedenen Krankenhäusern mehrfach operiert und konnte schließlich auf seinen zwei Beinen nach Hause entlassen werden. Doch die Infektion hatte so große Teile des Knies zerstört, dass sich die Statik des Beines komplett veränderte. „Mein Knie wanderte nach außen“, erklärt Wolf. Es entwickelte sich ein O-Bein mit einem 30-Grad-Winkel: „Im Theater musste ich immer ganz rechts außen sitzen“, sagt Wolf. Das Bein war massiv verkürzt, weil er es nicht mehr strecken konnte. Gehen war mühsam, an Motorradfahren nicht zu denken. „Oft haben mir wesentlich ältere Menschen mit Rollatoren Platz gemacht, weil sie wohl dachten, ich sei noch schlechter dran als sie“, erzählt Wolf.

Er machte sich auf die Suche nach medizinischem Rat, folgte Empfehlungen für Krankenhäuser in Berlin, München und Kiel: Aber er fand niemanden, der bereit war, den Eingriff an seinem schwer vorbelasteten Knie zu wagen. Bis schließlich ein Kieler Orthopäde fragte: „Warum gehen Sie nicht ins UKE?“ Ja, warum eigentlich nicht? Wolf stellte sich in der Orthopädie in Eppendorf vor.

Portrait Prof. Beil, u.a. Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Spezielle Orthopädische Chirurgie
Prof. Frank Timo Beil, Experte für Orthopädische Chirurgie

Prof. Dr. Frank Timo Beil, Direktor der Orthopädischen Klinik am UKE, erinnert sich noch gut, wie Karl-Heinz Wolf im Oktober 2022 das erste Mal in seiner Sprechstunde war: „Ich habe ihn aus dem Wartezimmer abgeholt und konnte auf dem Weg über den Flur schon sehen, wie schlecht er gehen konnte. Durch seine Kleidung war zu erkennen, dass eine schwere Fehlstellung an seinem Knie vorlag.“

Beil und seine Kolleg:innen sind auf komplizierte Fälle wie diese spezialisiert, „wir behandeln häufig die schwersten Komplikationen in der Gelenkchirurgie – und das sind Infektionen von Gelenken oder Endoprothesen. Deshalb haben wir uns auch Herrn Wolf gern angenommen“. Er und sein Team hatten es dabei allerdings gleich mit mehreren Herausforderungen zu tun: „Da war zum einen eine doppelte Fehlstellung – der O-Bein-Winkel und zudem fehlten 20 Grad an der Streckbarkeit“, erklärt der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie. Zudem sei nicht klar gewesen, ob die Infektion, die in dem Knie gewütet hatte, wirklich vollkommen verschwunden war. „Denn Bakterien können sich über Jahre im Knochen einnisten. Das mussten wir unbedingt ausschließen“.

OP-Team im Operationssaal bei einer Operation
Konzentrierte Chirurgen bei der Operation
Ansicht einer Knieprothese

Dann war da noch die vor Jahren eingesetzte „Lappenplastik“: Um das durch die Operationen verloren gegangene Gewebe zu ersetzen, waren Karl-Heinz Wolf eigene Haut und Muskeln aus dem Oberschenkel am und ins Knie verpflanzt worden. „Dieser Lappen lag genau in dem klassischen OP-Zugangsweg für die Knieprothese. Deshalb hatte ich die Befürchtung, dass er durch meine Operation gestört und nicht mehr durchblutet wird.“

Für den erfahrenen Orthopäden waren diese Risiken jedoch „kalkulierbar“. Seinen Patienten erlebte er als einen „pragmatischen und differenzierten Menschen, der alle unsere Empfehlungen und Risikobeschreibungen gut nachvollziehen konnte“ und gleichzeitig einen erheblichen Leidensdruck hatte. „So haben wir gemeinsam die Entscheidung für die Operation getroffen“, erzählt Beil.

Die fand Anfang 2023 und in zwei Teilen statt. In der ersten Operation mobilisierten Beil und sein Team das nahezu unbewegliche Knie, entfernten Knochen, die sich gebildet hatten und ersetzten sie durch eine provisorische Prothese. Zudem entnahmen sie Kochenbestandteile und weiteres Gewebe und ließen es im Institut für Medizinische Mikrobiologie des UKE auf Bakterien und Keime untersuchen. Nach zwei Wochen kam von dort Entwarnung: Es hatten sich offenbar keine Bakterien in dem Knie eingelagert. Beil und sein Team entnahmen in einer zweiten Operation das Provisorium und setzten das endgültige neue Gelenk ein. Drei Wochen später wurde Karl-Heinz Wolf nach Hause entlassen: „Die Behandlung war sehr effektiv, menschlich und viel weniger belastend, als ich befürchtet hatte“, sagt der Patient.

Herr Wolf bei physiotherapeutischen Übungen, um das Knie-Gelenk zu mobilisieren und gesund zu halten
Zu Hause trainiert Karl-Heinz Wolf regelmäßig sein Knie

Auch Prof. Beil ist zufrieden: „Keine der möglichen Komplikationen ist eingetreten, und Herr Wolf war sehr schnell wieder mobil und hatte ein schmerzfreies, funktionierendes Kniegelenk. Das ist ein sehr zufriedenstellendes Ergebnis“. An dem habe allerdings auch der Patient selber seinen Anteil: „Er hat nach der Operation direkt mit der Physiotherapie begonnen und diese auch zu Hause konsequent fortgeführt“, so Beil.

Der 72-Jährige kann heute nicht nur wieder Motorrad fahren, sondern macht auch jeden Tag mindestens 10.000 Schritte. „Ich kann wieder ein ganz normales Leben führen.“ Dazu gehört auch, dass er regelmäßig seine Tochter auf einem Reiterhof besucht und sie auf Turniere begleitet. „Ich bin dankbar, dass es mir so viel bessergeht und ziehe den Hut vor der ärztlichen Kunst“, sagt Wolf.

Nicht, dass er diese weitere Herausforderung gebraucht hätte, „aber ich lebe mit den Dingen, wie sie sind. Alles hat irgendeinen Sinn und unterm Strich ist in meinem Leben alles auch gut geworden“. Sein neues Knie wolle er auf keinen Fall gefährden, „deshalb fahre ich extrem vorsichtig auf dem Motorrad und nie schneller als mein Schutzengel fliegen kann.“

Wolf füttert Pferd mit einer Möhre