Auf einmal war der Ball im Aus
14 Jahre lang steht Daniel Petrowsky als Profifußballer auf dem Platz. Heute trainiert er beim HSV erfolgreich die U19 Nachwuchskicker. Der 43-Jährige lebt und liebt den Ballsport mit jeder Faser seines Körpers. Umso härter trifft es ihn, als ein Rückenmarkstumor seine gesamte Existenz von heute auf morgen in Frage stellt.
Daniel Petrowsky sitzt – vor der coronabedingten Spielunterbrechung – in der Cafeteria der Alexander-Otto-Akademie, der Talentschmiede des HSV am Volkspark. Hinter ihm gibt eine große Glasfront den Blick auf sattgrüne Spielfelder frei. Seit 2017 trainieren hier die jungen Hoffnungsträger des HSV. Der U19-Cheftrainer wirkt zufrieden an diesem Montagmorgen. Darf er auch sein – schließlich konnten seine Rothosen am Wochenende das Derby gegen St. Pauli mit 3:1 für sich entscheiden und in der Tabelle am Stadtrivalen vorbeiziehen. „Das sind natürlich großartige Momente, für die die Jungs jeden Tag hart arbeiten. Umso schöner ist es, wenn sie sich auf dem Platz dafür belohnen“, sagt Petrowsky.
Der 43-Jährige weiß, wovon er spricht. In seiner aktiven Zeit ist er viel herumgekommen, hat unter anderem für Union Berlin, Carl Zeiss Jena und Dynamo Dresden in der 3. Liga gespielt. Mit 27 Jahren entscheidet er sich, Sportwissenschaften zu studieren, spielt nebenbei weiter Fußball und erwirbt beim Deutschen Fußballbund diverse Trainerlizenzen. 2010 ist endgültig Schluss mit dem aktiven Fußballerleben. „Das Angebot des HSV, mich als Jugendtrainer zu holen, kam quasi aus dem Nichts und war für mich das Beste, was passieren konnte“, erzählt der Berliner, der beim HSV eine steile Karriere hinlegt. Mit Leib und Seele trainiert er alle Jahrgänge von der U14 bis zur U21, übernimmt 2014 sogar den Cheftrainerposten für die U23. Doch ein halbes Jahr später ist der Ball plötzlich im Aus.
Aus heiterem Himmel
„Eines Morgens bemerkte ich beim Aufwachen, dass ich meine rechte Körperhälfte nicht mehr spüren konnte“, erinnert sich Daniel Petrowsky. „Es war mir nicht möglich, meine Beine willentlich anzusteuern und zu bewegen, ein sehr extremes Gefühl.“ Der damals 38-Jährige spürt Panik in sich aufsteigen und ruft einen Teamkollegen an, der ihn sofort ins UKE Athleticum fährt. Von dort geht es gleich weiter in die Notaufnahme, wo eine Kernspintomographie die Ursache für die plötzlichen Lähmungserscheinungen ans Licht bringt: In Petrowskys Rückenmark wächst ein gutartiger Tumor. Gefährliche Einblutungen haben das Gewebe, das für Motorik und Sensibilität von Armen und Beinen verantwortlich ist, bereits stark zusammengequetscht.
Der HSV-Nachwuchstrainer ist wie vor den Kopf gestoßen. Niemals zuvor war er ernsthaft krank gewesen. Mal eine Zerrung im Oberschenkel oder eine Reizung der Achillesferse, das waren die Verletzungen, die der Sportler kannte. Aber ein Tumor? Hätte er nicht etwas merken müssen? „Nein, Tumore im Rückenmark machen anfangs keine Probleme und wachsen sehr langsam“, erklärt Neurochirurg Prof. Dr. Sven-Oliver Eicker, der Daniel Petrowsky im UKE behandelte. Allerdings könnten erste Anzeichen wie Kribbeln in den Fingern oder Taubheitsgefühle in den Extremitäten unbehandelt zu schweren neurologischen Folgen bis hin zur Querschnittslähmung führen. Als Daniel Petrowsky dies hört, läuten bei ihm alle Alarmglocken. „Einerseits wollte ich, dass dieser Tumor so schnell wie möglich entfernt wird. Gleichzeitig erfüllte mich die Vorstellung einer Operation in einem so sensiblen Bereich wie dem Rückenmark mit großer Angst.“
Aufgrund der Einblutung entscheiden die UKE-Ärzte, schnell zu operieren und setzen den Termin gleich für den nächsten Morgen an. „Für mich war das gut, denn so hatte ich keine Zeit, mir lange den Kopf zu zerbrechen, was alles schiefgehen könnte“, sagt Petrowsky. Zu wissen, dass es in 80 bis 90 Prozent der Fälle gelingt, Rückenmarkstumoren ohne bleibende Schäden zu entfernen, beruhigt ihn zwar. Doch der Gedanke, er könne Lähmungen zurückbehalten, lässt ihn nicht los.
Alles wieder da?
Gut vier Stunden dauert der minimalinvasive Eingriff, bei dem die Wucherung per Laser aus dem Rückenmark gelöst und das Knochengewebe vorsichtig wieder aufgebaut wird. Als Petrowsky auf der Intensivstation langsam zu sich kommt, prüft er zuallererst, ob noch alles funktioniert: „Ich war unfassbar erleichtert, meine Beine wieder zu spüren“, sagt er. Gleich am nächsten Tag wagt er die ersten Schritte. „Die waren zwar noch ganz schön wackelig, weil ich rechtsseitig weiterhin deutliche
Empfindungsstörungen hatte. Aber ich konnte laufen!“ Petrowsky beschließt, weiter zu kämpfen, sich sein Körpergefühl zurückzuerobern und bald wieder auf dem Platz zu stehen. Dafür trainiert er täglich mit Physiotherapeuten im UKE Athleticum, macht Ergotherapie und Übungen zu Hause.
Rasante Rückkehr
Petrowskys Kampfgeist wird belohnt. Nach nur zwei Monaten steht der HSV-Nachwuchstrainer wieder an der Seitenlinie und gibt taktische Anweisungen. Bald darauf macht er beim DFB sogar seinen Fußballlehrer. Doch fühlte sich alles denn genauso an wie vorher? „Nein, das nicht“, gibt er zu. „Anfangs machte ich große Fortschritte. Aber nur bis zu einem gewissen Punkt. Leichte Empfindungsstörungen im rechten Bein sowie in der Hand sind bis heute geblieben.“ Anzumerken ist dies dem früheren Leistungssportler jedoch nicht, wenn er seine U19-Mannschaft trainiert. „Die spielen ja zum Glück schon auf so hohem Niveau, dass ich ihnen nicht mehr viel vormachen muss“, lacht er. Und wenn er doch mal beim Trainingsspiel einspringt, gelingt ihm sogar noch die eine oder andere gute Flanke. Dass er sich seit seiner Erkrankung etwas mehr konzentrieren muss, wenn er gegen den Ball tritt, gehört für ihn heute einfach zum Leben dazu.