Bereichernde Zeit

Endlich einen Plan haben, unbekanntes Terrain entdecken oder Wartezeit überbrücken – und Sinnvolles tun: 60 junge Frauen und Männer absolvieren zurzeit im UKE ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) oder einen Bundesfreiwilligendienst (BFD). Ein Gewinn für alle Beteiligten, wie unsere drei Beispiele zeigen.

eine junge Frau lächelt in die Kamera und faltet eine pinkfarbene Decke
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Aylin Inan, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie

Im Eckzimmer von Haus W35, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, schüttelt Aylin Inan die Kissen des riesigen Europaletten-Sofas auf. In dem Aufenthaltsraum wird gespielt, gelesen, gelümmelt. Dort findet die Morgen- und Abendrunde mit neun Jungen und Mädchen zwischen 8 und 14 Jahren statt, bei der jeder erzählt, was ihn bewegt. „Den Kindern geht es zum Teil sehr schlecht. Die Zeit, die sie bei uns verbringen, möchte ich ihnen schön machen“, sagt die 19-jährige Hamburgerin. Seit vier Monaten unterstützt sie das Betreuerteam der Station. Sie hat schon selbst die Morgenrunde geleitet und ist stolz, dass man ihr das zutraut. Überhaupt: „Das Team ist klasse“, und sie fühlt sich „am richtigen Platz“. Der Arbeitstag startet um sieben Uhr mit der Weckrunde, bis zu drei Mal tourt sie bei Bedarf. „Manche Kinder brauchen eben ein bisschen Anlauf.“ Hauptsache, sie wagen den Schritt in den Tag. Die jungen Patienten leiden unter Zwangsstörungen, Schizophrenie, Depressionen.

Die Zeit, die die Kinder bei uns verbringen, möchte ich ihnen schön machen.

Aylin unterstützt sie beim Essen, begleitet zu Therapieterminen, macht Spielangebote, lädt zu kleinen Ausflügen in die Welt ein: Kicken im Park, Spaziergänge. Nach dem Abitur 2018 war sie planlos. „Ich wollte etwas Soziales machen, wusste aber nicht, wie gut ich mit Menschen arbeiten kann.“ Das hat sie ausgelotet und auch schon eine Skizze für ihre berufliche Laufbahn im Kopf: Studium Soziale Arbeit, danach vielleicht Wohngruppenbetreuung. Eine Erkenntnis ist Aylin besonders wichtig: „Egal, was und wie groß dein Problem ist und wie schlecht es dir geht: Du wirst immer wieder aufstehen können.“ Das habe sie von den Kindern in Haus W35 gelernt.

„Sahnehäubchen für die Stationen“

Karin Plock, die das Management Zeitarbeit, Pool und Freiwilligendienste des UKE leitet, ist zuständig für FSJ und BFD, den Nachfolger des früheren Zivildienstes. Für sie sind die Freiwilligen die „Sahnehäubchen für die Stationen“. Sie seien für jene Dinge zuständig, die im Alltag leicht unter den Tisch fallen, weil ganz einfach die Zeit fehlt: der Extra-Spaziergang, eine Tageszeitung holen, vorlesen, zuhören. „Für die Patienten ist diese Unterstützung sehr wertvoll, und die jungen Leute entwickeln ein Gespür für die Kleinigkeiten des Lebens, die eine große Bedeutung bekommen können.“

ein junger FSJler bindet sich eine Atemschutzmaske vor das Gesicht
Leonhard Hitzelberger, I. Medizinische Klinik

Seit vier Jahren weiß Leonhard Hitzelberger, dass er Arzt werden möchte, aktuell am liebsten Unfallchirurg. Sein Abi-Schnitt ist klasse und mit dem FSJ im UKE, das als notenverbesserndes Kriterium gilt, könnte es bei der nächsten Bewerbung klappen. Der 19-Jährige aus der Nähe von Saarlouis arbeitet in der Bernhard-Nocht-Klinik in der I. Medizinischen Klinik für Infektiologie und Tropenmedizin. In seiner Freizeit büffelt er für den Medizinertest.

Die Patienten sind so dankbar, wenn man ihnen einen Gefallen tut. Und das gibt mir sehr viel.

Auf der Station im ersten Stock macht er die Runde durch die Patientenzimmer: Vitalzeichenmessung, sagt er fachmännisch. Anschließend wird er einer Pflegekraft zugeteilt, oft unterstützt er bei der Körperpflege. „Dazu gehören natürlich auch unangenehme Dinge wie die Intimpflege bei einem inkontinenten Patienten“, sagt Leo, der ahnt, dass es für die Betroffenen noch viel unangenehmer ist. „Ich versuche, sie zu beruhigen und ihnen die Scham zu nehmen.“ Der junge Mann war schon bei wichtigen Patientengesprächen dabei, bei Eingriffen wie der Aszitespunktion von Patienten mit Leberzirrhose und der Lumbalpunktion eines HIV-Kranken. Der Kontakt mit den Patienten berührt ihn. „Viele haben ein Redebedürfnis. Auch wenn nur wenig Zeit ist: Ich nutze sie, um mit den Menschen zu sprechen, ihnen ein Glas Wasser zu bringen oder einen Gefallen zu tun. Sie sind dafür so dankbar. Und das gibt mir sehr viel.“

Für BFD- und FSJ-Bewerber stehen die Chancen auf einen Ausbildungsplatz im UKE recht gut: Alle Stationen und Zentren werden mit Freiwilligen versorgt. „Die Nachfrage ist groß“, sagt Karin Plock. Gemeinsam mit den Freiwilligen sucht sie den passenden Einsatzbereich heraus. Sie kennt das UKE aus dem Effeff, ist hier 1980 mit der Ausbildung zur Krankenschwester gestartet, bestens vernetzt mit allen Pflegestationen und vertraut mit den spezifischen Bedürfnissen. „Die psychische und physische Belastung ist auf vielen Stationen groß. Aber alle schaffen das“, berichtet sie. Dazu trage das Engagement der Pflegekräfte ganz wesentlich bei: „Sie nehmen die jungen Leute sofort ins Team auf. Das ist großartig.“

FSJlerin Johanna Ellmer lacht
Johanna Ellmer versorgt Patienten in der Unfallchirurgie

Sprung ins kalte Wasser

Auf der Spine-Station von Haus O70 hält Johanna Ellmer einen Plausch mit einem älteren Patienten, der zur weiteren Abklärung seiner Beschwerden in die Neurologie verlegt werden soll. „Schade“, findet er, „deine Fröhlichkeit werde ich vermissen“. Johanna arbeitet als FSJlerin in der Abteilung Wirbelsäulen-Chirurgie. Die 18-Jährige kommt aus der Uckermark und hat ebenfalls im letzten Jahr Abitur gemacht. In Kürze startet sie in Hamburg die Ausbildung zur Physiotherapeutin, ihrem Traumberuf. „Die Zwischenzeit wollte ich sinnvoll nutzen“, sagt sie.

Ich bin mutiger geworden und habe gelernt, dass man auch mal einen Fehler machen darf.

Zum Start gab es den Sprung ins kalte Wasser: .Auf der Station war einiges los. „Komm mal mit“, sagte eine Gesundheits- und Krankenpflegerin (GKP), und Johanna half ihr, einen Patienten nach Wirbelsäulen-OP und mit MRSA-Infektion auf der Isolierstation zu versorgen. Mit einer GKP ist sie jeweils für einen Bereich eingeteilt. Zu den Standardaufgaben gehört Messen: Blutdruck und Puls, Temperatur, Sauerstoff, Blutzucker. Bei immobilen Patienten reicht Johanna das Essen an. „Durch meine Arbeit im UKE bin ich mutiger geworden“, sagt sie. „Es fällt mir leichter, auf Patienten zuzugehen, und ich habe gelernt, dass man auch mal einen Fehler machen darf.“ Die größte Bereicherung? „Das Team, diese coole Mischung aus jungen und sehr erfahrenen Kollegen.“

Weitere Infos: www.uke.de/freiwilligendienste

Text: Ingrid Kupczik, Fotos: Claudia Ketels